Gegen den Strom: Warum Simone Lange beim Sterben von Zeitungen nicht zusehen wollte

Simone Lange spricht beim Landesverbandstag des BDS SH am 9. Oktober im Wissenschaftszentrum Kiel. Der Vortrag ist Teil eines spannenden Nachmittags mit innovativen Köpfen, die Schleswig-Holstein voranbringen.

Ein Vortrag über Demokratie, Wahrheit und lokale Zukunft

Du kennst diesen Gedanken wahrscheinlich: „Zeitungsverlage? Das ist doch Schnee von gestern – das Geschäftsmodell ist tot.“

Und dann macht jemand genau das Gegenteil von dem, was alle denken. Jemand gründet einen Zeitungsverlag. Völlig gegen den Trend. Und es funktioniert.

Simone Lange hat genau das getan. Am 9. Oktober war sie zu Gast beim Landesverbandstag des BDS SH und hat erzählt, warum sie diesen Wahnsinn angefangen hat – und warum es überhaupt kein Wahnsinn ist.

Das Video zum Vortrag findest du unten in diesem Beitrag

Die unbequeme Wahrheit: Ohne Lokalzeitung stirbt die Demokratie

Simone Lange stellt eine einfache, aber unbequeme Frage: Was passiert eigentlich, wenn es keine Lokalzeitung mehr gibt?

Die meisten von uns denken: Naja, wir haben ja Smartphones. Wir werden bombardiert mit Informationen. Jeder Bäcker, jeder Handwerker, jeder Unternehmer hat inzwischen seine eigene Homepage und seinen eigenen Social-Media-Kanal. Wer braucht da noch eine Zeitung?

Aber hier kommt das Allerwich­tigste: Die Forschung zeigt uns, dass Demokratie und lokale Berichterstattung unmittelbar zusammenhängen. Es ist nicht irgendeine schöne Theorie – es ist bewies­en.

In den USA sind Lokalzeitungen vor Jahrzehnten verschwunden. Das Resultat? Desinformationen breiteten sich massiv aus. Und es gibt eine aktuelle Studie aus der Schweiz, die zeigt: Überall dort, wo Lokalzeitungen verschwinden, wächst die Intransparenz, nimmt die Korruption zu, sinkt die Wahlbeteiligung – und die extremen Kräfte gewinnen an Einfluss.

Das klingt dramatisch? Ist es auch. Deshalb hat Simone Lange vor knapp drei Jahren beschlossen: Ich mache das anders.

Vom Oberbürgermeisteramt zur Gründerin: Der ungewöhnliche Weg

Was Simone Lange besonders macht: Sie kommt überhaupt nicht aus der Pressebranche. Erst war sie Polizeibeamtin, dann fast 18 Jahre in der Politik. Sie war Oberbürgermeisterin von Flensburg.

Und dann hat sie gesagt: Die ganzen innovativen Projekte, die spannenden Ideen, die Spezialisierungen – alles das ist so wertvoll für die Gesellschaft. Aber es kommt bei den Menschen nicht an. Die Menschen verstehen nicht, was da auf dem Green Tech Campus passiert, was die BDS SH bewegt, was die ganzen Organisationen tun. Die Inhalte sind zu spezialisiert, zu weit weg vom Alltag.

Also hat sie das getan, was kein vernünftiger Mensch in der digitalen Welt 2023 tun würde: Sie hat einen Zeitungsverlag gegründet.

Im Mai 2023 kam die erste Ausgabe von „Wirklich Flensburg“ heraus – eine Wochenzeitung.

Die Lösung, die niemand erwartet hat: Print ist zurück

Ja, du liest richtig. Print. Klassische Papierzeitung.

Und hier kommt die Überraschung: Es funktioniert. Nach zweieinhalb Jahren produziert Simone Langes Team jede Woche eine neue Ausgabe. Sie bauen einen stabilen Abonnentenstamm auf – und 90 Prozent der Abos wollen die gedruckte Zeitung. Nicht das E-Paper, das sie auch anbieten. Nein, die echte Zeitung zum Anfassen.

„Ich bezahl dafür, dann will ich auch was in der Hand haben,“ sagt einer ihrer Leser. Und vielleicht ist das gar nicht so unlogisch, oder? Am Wochenende, das Handy weglegen, gemütlich auf dem Sofa sitzen und entspannt eine Zeitung lesen.

Das ist ganz bewusst das Konzept von „Wirklich Flensburg“: Keine reißerischen Schlagzeilen. Keine Angstmache. Sondern einfach das, was passiert. Kultur, Sport, Gesellschaft. Geschichten, die die Menschen lokal verbinden – nicht trennen.

Ein Konzept, das überall funktioniert

Was mit Flensburg anfing, wächst. Im Oktober letzten Jahres kam „Wirklich Angeln und Schlei“ dazu. Und jetzt? Simone Lange testet das Konzept in ganz anderen Ecken Deutschlands – etwa in Aachen an der belgischen Grenze.

Das Verrückte: Der Bedarf ist riesig. Es gibt Anfragen aus Neubrandenburg, Nordfriesland, Stuttgart, Eschweiler. Überall dort, wo Lokalzeitungen aussterben, sehnen sich Menschen danach – und sie bekommen mit, dass es wieder eine Alternative gibt.

Aber Achtung: Das Konzept funktioniert nur, wenn es lokal vor Ort gelebt wird. Simone und ihr Team können von Flensburg aus nicht einfach Redakteure nach Aachen exportieren und sagen „Macht mal eine Zeitung.“ Das funktioniert nicht. Es braucht lokale Teams, Menschen, die die Stadt kennen, die ihre eigenen Geschichten erzählen.

Die Glaubwürdigkeitsfrage – und warum Lokalzeitungen vorne sind

Eine interessante Beobachtung: Wenn die Forschung fragt, welchen Medien die Menschen vertrauen, wo landen Lokalzeitungen?

An dritter Stelle – hinter den Öffentlich-Rechtlichen, aber deutlich vor digitalen Medien, die noch immer mit Glaubwürdigkeitsproblemen kämpfen.

Das ist ein wichtiger Punkt. In einer Zeit, in der Desinformation leicht ist und schnell verbreitet wird, sind Lokalzeitungen Anker der Verlässlichkeit.

Mehr als eine Zeitung: Serviceplattform für die Gemeinschaft

„Wirklich Flensburg“ macht aber noch mehr als Nachrichtenredaktion. Die Redaktion:

  • Vergibt einen Kinderfreundlichkeits-Preis, bei dem die Leserschaft mitentscheidet – und stärkt damit das Ehrenamt
  • Bietet Paten-Abos für Menschen ohne ausreichende Mittel (arbeitet auch mit Vereinen zusammen, die Obdachlose betreuen)
  • Erstellt Jahreschroniken von Städten – erstmals überhaupt für Flensburg
  • Ist Serviceplattform für Sport, Kultur, Wirtschaft – Bereiche, die andere Verlage längst aufgegeben haben

Das zeigt: Eine Zeitung ist nicht nur kritischer Journalismus (wobei natürlich auch das wichtig ist). Eine gute Lokalzeitung ist eine Plattform für die ganze Vielfalt eines Ortes.

Die Verbindung zum GlücksHub – wo es richtig spannend wird

Und jetzt der Clou: Simone Lange ist BDS SH Mitglied und an verschiedenen gemeinsamen Initiativen und Netzwerken mit dem GreenTEC Campus beteiligt. Sie arbeitet interdisziplinär. Und sie hat eine Vision, die über die reine Zeitung hinausgeht.

Das nächste Projekt heißt „Wirklich App“ – eine Plattform, auf der du deine Kommune findest und deine lokalen Nachrichten bekommst. Aber nicht isoliert, sondern vernetzt mit dem Zukunftsprojekt GlücksHub.

Der GlücksHub? Das ist mit dem GlückKompass im Kern ein KI-gestütztes Projekt für Berufs- und Talentvermittlung. Junge Menschen und Arbeit-Suchende entdecken spielerisch ihre Talente. Auf der anderen Seite finden Arbeitgeber Menschen mit genau den Fähigkeiten, die sie suchen.

Und hier schließt sich der Kreis: Die Wirklich App wird die lokalen Geschichten erzählen – wer ist erfolgreich in meiner Stadt? Welche Unternehmen bilden aus? Welche Chancen gibt es hier vor Ort? Diese Geschichten landen in der App, Menschen entdecken über den GlücksHub ihre Talente – und finden dann lokal die Angebote, die zu ihnen passen.

Das ist nicht nur Journalismus. Das ist Zukunftsgestaltung.

Wahrheit als fundamentales Recht

Am Anfang des Vortrags macht es Wolfgang Koll in seiner Anmoderation deutlich: Für den BDS SH ist Wahrheit und Verlässlichkeit in der öffentlichen Kommunikation kein Nice-to-have. Es ist ein Recht im Sinne der Darseinsvorsorge des Staates.

So, wie der Staat die Aufgabe hat, für Sicherheit, Gesundheit und Infrastruktur zu sorgen – so muss auch die Versorgung mit verlässlichen Informationen zur Daseinsvorsorge gehören. Dazu tragen wir gemeinsam bei!

Das ist besonders im Kontext des GreenTEC Campus und der ganzen innovativen Arbeit, die hier passiert, ein wichtiger Punkt: All diese Spezialisierung, all diese Innovation – sie braucht Menschen, die verstehen, worum es geht. Und das ist nicht möglich ohne verlässliche, lokal verankerte Berichterstattung.

Was wir von Simone Lange lernen können

Dieser Vortrag erzählt nicht nur von Zeitungen und Journalismus. Simone Lange zeigt, wie man:

  • Gegen Trends gründet, wenn man an etwas glaubt
  • Bestehendes neu denkt – Print-Zeitungen funktionieren noch, wenn man es richtig macht
  • Lokale Bedeutung in globalen Zeiten bewahrt
  • Interdisziplinär vernetzt – vom Journalismus zum GlücksHub, von der Zeitung zur App
  • Demokratie konkret stärkt – nicht in abstrakten Diskussionen, sondern in der alltäglichen Praxis

Und vielleicht am wichtigsten: Sie zeigt, dass es möglich ist, Sinn und Wirtschaftlichkeit zu verbinden. Das ist nicht widersprechen – es ist Resilienz.

Der Vortrag in voller Länge

Lust auf mehr? Hier kannst du dir Simone Langes kompletten Vortrag vom Landesverbandstag anschauen – voller Insights, Daten und der Geschichte, wie man gegen den Strom schwimmt und trotzdem nicht untergeht.

Mehr über die Wirklich Flensburg: www.wirklich-flensburg.de
Zum GlücksHub: www.glueckshub.de

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