Fahrende Kraftwerke: Wie Elektroautos Kommunen beim Notstrom helfen können

Mehr als Mobilität Elektroautos sind längst mehr als umweltfreundliche Fortbewegungsmittel. Immer mehr Hersteller erkennen: In den leistungsstarken Batterien moderner E-Autos schlummert ein bislang wenig genutztes Potenzial – nämlich als mobile Stromquelle für Haushalt, Gewerbe und im Katastrophenfall auch für Kommunen.
Mit sogenannten bidirektionalen Ladesystemen (Vehicle-to-X) können E-Autos Strom nicht nur aufnehmen, sondern auch wieder abgeben: für das eigene Haus (Vehicle-to-Home), für das Stromnetz (Vehicle-to-Grid) oder direkt an elektrische Geräte (Vehicle-to-Load). Die Vision: Stromautarke Gemeinden, resiliente Infrastruktur und ein Beitrag zur Energiewende – alles auf vier Rädern.
Hyundai in Europa: Vom Stromspender zur Stadtbatterie
Ein Paradebeispiel liefert Hyundai mit gleich mehreren Projekten in Europa, die zeigen, wie E-Autos über die Mobilität hinaus genutzt werden können.
In den Niederlanden, genauer gesagt in Utrecht, entsteht in Kooperation mit dem Anbieter „We Drive Solar“ die weltweit erste bidirektionale Carsharing-Flotte mit dem Hyundai Ioniq 5. Ziel ist es, hunderte dieser Fahrzeuge als dezentrale Stromspeicher ins städtische Netz zu integrieren. Die Autos laden bei Stromüberschuss (z. B. durch Solarenergie) und geben Energie bei Bedarf zurück. Über bidirektionale DC-Lader und ein intelligentes Energie-Management-System entstehen so virtuelle Kraftwerke, die für Netzstabilität sorgen und Spitzenlasten abfedern. Dieses „Vehicle-to-Grid“-System ist ein Modell dafür, wie Kommunen Mobilität und Energiewirtschaft intelligent verknüpfen können.
Darüber hinaus engagiert sich Hyundai in Deutschland und Südkorea mit Pilotprojekten rund um Vehicle-to-Home (V2H). In Deutschland hat Hyundai über seine Innovationsplattform CRADLE an einem Versuch teilgenommen, bei dem acht Ioniq 5-Fahrzeuge in ein lokales Energiemanagement eingebunden wurden. Die Fahrzeuge konnten überschüssigen Strom aus PV-Anlagen aufnehmen und bei Bedarf zurück ins Haus- oder Quartiersnetz einspeisen. Ziel ist es, in Zukunft Stromnetze durch Millionen vernetzter E-Autos aktiv zu entlasten.
Auch für den Outdoor- oder Katastropheneinsatz bietet Hyundai konkrete Anwendungsbeispiele: Die Vehicle-to-Load-Funktion (V2L) der E-GMP-Plattform erlaubt das direkte Versorgen externer Geräte über einen 230V-Anschluss mit bis zu 3,6 kW. Hyundai demonstrierte dies u. a. beim Projekt „Hotel Hyundai“ in Großbritannien, wo ein Ioniq 5 für mehrere Tage ein autarkes Tiny House, eine Kinoanlage und eine Bar betrieb – alles rein aus dem Fahrzeugakku. In Norwegen versorgte das Fahrzeug einen abgelegenen Rentierhof, in Schweden wurde ein komplett netzunabhängiges Camp aufgebaut.
Diese Praxisbeispiele zeigen: Hyundai verfolgt die Vision, dass E-Autos nicht nur fahren, sondern auch „stromgeben“ sollen. Ob im Blackout, beim Camping oder als Puffer für die Energiewende – der Ioniq 5, Kona Electric und künftig auch der Ioniq 6 oder Ioniq 7 können als fahrbare Powerbanks eine zentrale Rolle in kommunalen Versorgungskonzepten spielen.
Renault in Österreich: Notstrom für Mobilfunkmasten
In Raasdorf bei Wien zeigt Renault gemeinsam mit dem Netzbetreiber A1, wie E-Autos kritische Infrastrukturen im Krisenfall stützen können. Mittels der Vehicle-to-Load-Technologie wurde ein Renault-Elektroauto an eine Mobilfunkstation angeschlossen. Ergebnis: Über 12 Stunden läuft die Station autark weiter, selbst bei Stromausfall. Das Projekt beweist, wie einfach und effizient Notstromversorgung funktionieren kann – ohne Dieselgeneratoren, leise und abgasfrei. Perspektivisch könnten E-Autos in jeder Gemeinde zur Kommunikationssicherung beitragen.
Nissan in Japan: Pionier im Katastrophenschutz
Nach der verheerenden Erdbeben- und Tsunamikatastrophe 2011 begann Nissan mit dem Aufbau seines „Blue Switch“-Programms. Ziel: Die hauseigenen Elektroautos als fahrende Stromlieferanten bei Stromausfällen und Naturkatastrophen einsetzen. Heute existieren über 100 Kooperationsvereinbarungen mit Kommunen in Japan. Ein Nissan Leaf mit 62 kWh Batterie kann einen Haushalt je nach Verbrauch bis zu vier Tage mit Notstrom versorgen. Nissan hat vorgemacht, wie E-Autos zur öffentlichen Resilienz beitragen.
Was heißt das für Schleswig-Holstein?
Auch hierzulande gewinnen bidirektionale Ladelösungen an Bedeutung. Erste Projekte mit Stadtwerken laufen, Hersteller wie VW, Hyundai oder Renault treiben die Technik voran. Kommunen in Schleswig-Holstein sollten diese Entwicklung aktiv begleiten – sei es über Pilotprojekte mit E-Dienstfahrzeugen, Carsharing-Modelle oder durch Einbindung von Bürger*innen mit kompatiblen Fahrzeugen.
Der Vorteil: Zusätzlich zur CO2-Ersparnis und Lärmminderung kann im Krisenfall flexibel reagiert werden. Elektroautos werden damit zu einem Baustein kommunaler Daseinsvorsorge und Energiesicherheit.
Fazit: Zukunft auf vier Rädern
E-Autos als Notstromquelle sind keine Zukunftsmusik mehr. Die Technik ist erprobt, die Projekte laufen – nun liegt es an den Kommunen und politischen Entscheidungsträgern, das Potenzial zu heben. Gerade für ländlich geprägte Bundesländer wie Schleswig-Holstein mit dezentraler Infrastruktur ist das eine große Chance: Elektromobilität fördern und gleichzeitig die Resilienz steigern.
Der BDS SH empfiehlt: Nutzen Sie Ihre E-Fahrzeuge doppelt. Als Verkehrsmittel – und als Sicherheitspuffer in kritischen Situationen.



